Die Akteur:innen

Dominante nationale Narrative haben eine enorme Durchdringungskraft. Für politische Akteur:innen bieten sie einen optimalen Raum für die Einbettung komplexer Sachverhalte in einfache Erzählstrukturen. So werden sie von verschiedenen Akteur:innen auch rege genutzt.
Politische Akteur:innen benutzen Narrative, um Problemenalysen darzulegen und ihre Lösungsvorschläge zu kommunizieren. Damit beeinflussen sie die öffentliche Politik und konkurrenzieren um ihre bevorzugten Ziele.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Rechte Parteien dominieren den Narrativ-Diskurs
  • Pol-Parteien setzen je auf ein spezifisches Narrativ
  • Bei allen Akteur:innen steht der Begriff der «Freiheit» im Mittelpunkt
Dominante nationale Narrative können von politischen Akteur:innen verändert, neu besetzt oder umgedeutet werden. Daher ist die Identifikation der dominanten nationalen Narrative, welche von den Akteur:innen in ihrer politischen Kommunikation benutzt wird, entscheidend.
Zu diesem Zweck untersucht die Studie eine breite Bandbreite an Dokumenten und Akteur:innen. Dies sind namentlich Zentrumsparteien, linke Parteien, rechte Parteien, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und NGOs, und Grundsatzdokumente.

Die Grundsatzdokumente fallen durch ihre Ausgewogenheit und Diversität auf.

Bei linken Parteien ist das Narrativ «Humanität & Solidarität» dominant. Zudem hat auch das Narrativ «wirtschaftlicher Wohlstand» seit den 2000er Jahren eine hohe Bedeutung.

Zentrumsparteien sind relativ ausgewogen in ihrer Narrativnutzung.

Bei rechten Parteien dominiert das Narrativ «freiheitsliebende, wehrhafte Schweiz».

Die Ergebnisse verdeutlichen die Vielfalt und die unterschiedlichen Schwerpunkte der Narrative bei den verschiedenen politischen Akteur:innen in der Schweizer Politik. Die Nutzung von Narrativen spiegelt ihre individuellen Perspektiven und Interpretationen wider und trägt zur Gestaltung politischer Diskurse und Identitäten bei.
Um grundlegende Erzählungen über die Schweiz zu untersuchen, wurde von Sotomo im Auftrag von Pro Futuris ein umfangreicher Korpus an Dokumenten zur Schweizer Politik erstellt. Dieser hatte zum Ziel, ein breites Spektrum an Publikationsformaten, diverse Autor:innenenschaft, aber auch unterschiedliche zeitliche Perioden abzubilden.
Dementsprechend wurden Grundsatzreden (Albisgüetli-, 1. Mai- und Rütli-Reden, sowie Neujahrs- und 1. August-Ansprachen), Wahl- und Parteiprogramme, Positionspapiere, Debatten in den eidgenössischen Räten, Informationen des Bundesrates zu Volksinitiativen und Medienmitteilungen der sechs grössten Schweizer Parteien und wichtiger Verbände miteinbezogen. Insgesamt waren dies 14'235 Dokumente, welche für eine bessere Vergleichbarkeit der unterschiedlich langen Texte in 71'519 ungefähr gleich lange Paragraphen unterteilt wurden.
Die Grafik zeigt die relative Bedeutung der Narrative pro Akteur:in im Zeitverlauf.
Die Dokumente wurden für die Analyse aufgrund ihrer Autor:innenschaft in verschiedene Gruppen unterteilt: Zentrumsparteien, linke Parteien, rechte Parteien, Wirtschaft, Gewerkschaften und NGOs, und Grundsatzdokumente (Überparteiliche Dokumente und Informationen des Bundesrates). Für Zentrumsparteien, linke Parteien, rechte Parteien und Grundsatzdokumente wurde die Anwendung der Narrative über die Zeit in fünf Zehnjahresperioden mit Hilfe eines quantitativen lexikonorientierten Ansatzes analysiert.
Die vorliegende Studie im Rahmen des Capstone-Kurses hat herausgefunden, dass die Nutzung der Narrative über die Zeit variiert. Selten wird ein Narrativ von einem:r politischen Akteur:in über Jahrzehnte konstant gebraucht. Dabei weisen die linken und rechten Parteien eine selektivere Narrativverwendung auf. Zu erkennen ist, dass bei den linken Parteien das Narrativ «Humanität & Solidarität» prominent ist. Die rechten Parteien hingegen legen besonderen Wert auf das Narrativ der «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz». Bei den Grunsatzdokumente und Zentrumsparteien zeigte sich insgesamt eine gewisse Ausgewogenheit in der Nutzung von Narrativen.
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Die Studienresultate

Grundsatzdokumente

Bei den Grundsatzdokumente fällt die kleine Streuung und ausgewogene Anwendung aller Narrative auf. Die relativ bedeutend auftretenden Begriffe veranschaulichen die Diversität und das Gleichgewicht verschiedener Narrative innerhalb dieser Akteur:in.

Mit den Grundsatzdokumenten wird eine Reihe von Dokumenten analysiert, welche mit überparteilichen und verbindlichen Absichten verfasst wurden. Dazu zählen unter anderem Texte des Abstimmungsbüchleins und Informationen des Bundesrats zu Volksinitiativen, aber auch die Rütli-, 1.-August-, und Neujahrsreden der letzten 50 Jahre.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Neutralitätsanspruch spiegelt sich im Gebrauch der Narrative
  • Narrativnutzung ist ausgeglichen
  • Das Wort «Freiheit» wird am häufigsten verwendet

Von diesen Grundsatzdokumenten wird eine gewisse Neutralität und Diversität erwartet. Dementsprechend überrascht es nicht, dass die Narrativnutzung in diesen Grundsatzdokumenten sehr ausgeglichen ist.

Die Grafik zeigt die relative Bedeutung der Narrative im Zeitverlauf.

Auffällig ist die Zentralität des Begriffs «Freiheit». Zudem ist ersichtlich, dass die Mehrheit der auftauchenden Ausdrücke eine grösstenteils neutrale Konnotation aufweisen, was zusätzlich für Ausgeglichenheit spricht.

Die Wortwolke zeigt die Schlagworte, welche von 1971 bis 2021 mit relativ höchster Bedeutung verwendet wurden (farbig sind die fünf meistverwendeten Schlagworte).

Linksparteien

Bei den linken Polparteien hat das Narrativ «Humanität & Solidarität» die höchste relative Bedeutung, sie haben ein klar dominantes Narrativ. Seit den 2000er Jahren hat auch die relative Bedeutung des Narratives «wirtschaftlicher Wohlstand» zugenommen.

Zu den linken Parteien zählen die Sozialdemokraten (SP), die Grünen, die Partei der Arbeit und die Alternative Liste. Das dominante Narrativ ist für diese das Narrativ «Humanität & Solidarität». Dem Narrativ, und somit auch den damit assoziierten Wörtern, wird demnach von linken Parteien eine besonders hohe relative Bedeutung zugesprochen. Eine mögliche Interpretation der Dominanz dieses Narratives kann in der humanitären Tradition linker Parteien gefunden werden.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Das Narrativ «Humanität & Solidarität» ist dominant
  • Das Narrativ «wirtschaftlicher Wohlstand» wird häufig (kritisch) verwendet
  • Es dominieren Worte aus dem Narrativ ««freiheitsliebende, wehrhafte Schweiz»

Seit den 2000er Jahren hat jedoch auch die relative Bedeutung des Narratives «wirtschaftlicher Wohlstand» und damit das Auftreten damit verbundener Schlagworte stark zugenommen. Dies könnte mit einer verstärkten kritischen Haltung einhergehen.

Die Grafik zeigt die relative Bedeutung der Narrative im Zeitverlauf.

«Freiheit» ist auch bei linken Parteien das dominante Wort. Überraschenderweise treten daneben vor allem Begriffe auf, die mit dem Narrativ der «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz» in Verbindung gebracht werden, wie zum Beispiel «Freiheit», «Integration» und «Einwanderung». Dies lässt Rückschlüsse auf die Interpretation dieses Narratives zu. Die linken Parteien nehmen wahrscheinlich eine inklusive Perspektive dieses Narratives ein.

Die Wortwolke zeigt die Schlagworte, welche von 1971 bis 2021 mit relativ höchster Bedeutung verwendet wurden (farbig sind die fünf meistverwendeten Schlagworte).

Zentrumsparteien

Zentrumsparteien sind relativ ausbalanciert in ihrer Narrativnutzung. Der Begriff «Freiheit» hat die höchste Bedeutung. Daneben benutzten Zentrumsparteien eine grosse Bandbreite an Wörtern.

Für die Analyse wurden die Bürgerlich-Demokratische Partei, Christlichdemokratische Volkspartei, FDP.Die Liberalen, die Grünliberale Partei, die Evangelische Volkspartei, die Christlich-Soziale Partei und der ehemalige Landesring der Unabhängigen den Zentrumsparteien zugeordnet. Bei der relativen Bedeutung der Narrativverwendung ist eine Ausgewogenheit erkennbar. Die Streuung ist jedoch relativ breit, wobei das «Alpenvolk»-Narrartiv konstant am wenigsten verwendet wird.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Die Narrative werden relativ ausgewogen genutzt
  • Die häufig verwendeten Begriffe deuten ebenfalls auf die Ausgewogenheit hin
  • Der Begriff der «Freiheit» ist dominant

Seit den 2010er Jahren ist das Narrativ «wirtschaftlicher Wohlstand» dominant, jedoch nur marginal. Auch bei den Zentrumsparteien tritt der Begriff «Freiheit» mit relativ höchster Bedeutung auf. Daneben befinden sich eine grosse Bandbreite an Wörtern, welche in Verbindung mit unterschiedlichen Narrativen gebracht werden können. Das lässt eine Ausgewogenheit auch bei der Verwendung von Begriffen erkennen.

Die Grafik zeigt die relative Bedeutung der Narrative im Zeitverlauf.

Auffallend sind bedeutende Wörter wie zum Beispiel «Innovation» und «Investitionen», welche Hinweisen auf das Narrativ des «wirtschaftlichen Wohlstandes», liefern.

Die Wortwolke zeigt Schlagworte, welche von 1971 bis 2021 mit relativ höchster Bedeutung verwendet wurden (farbig sind die fünf meistverwendeten Schlagworte).

Rechtsparteien

Diese Polparteien habe ein klar dominantes Narrativ, nämlich das der «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz». Generell nutzen rechte Parteien alle Narrativ relativ am meisten –mindestens seit der Jahrztausendwende kristallisiert sich eine Nutzungsdominanz.

Die Akteur:innen der rechten Parteien sind die SVP, die Schweizer Demokraten, die Lega dei Ticinesi, die EDU, sowie das «Mouvement citoyens genevois». Essentiell ist, dass Narrativen von rechten Parteien im Vergleich mit anderen Akteur:innen mindestens seit der Jahrtausendwende deutlich mehr Bedeutung geschenkt wird.

Die wichtigsten Erkenntnisse

  • Die rechten Parteien nutzen Narrative im Vergleich häufiger
  • Das Narrativ «freiheitsliebende, wehrhafte Schweiz» dominiert
  • Häufig verwendete Begriffe sind «Einwanderung» und «Integration»

Die Dominanz des Narratives der «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz» sticht heraus. Auch die häufigsten Begriffe der rechten Parteien haben dementsprechend einen Zusammenhang mit dem Narrativ «freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz». Darunter befinden sich zum Beispiel Ausdrücke wie «Freiheit», «Integration» und «Einwanderung», aber auch weniger vorkommende Wörter wie «Diskriminierung» und «Bedrohungen».

Die Grafik zeigt die relative Bedeutung der Narrative im Zeitverlauf.

Interessant ist zudem die Betrachtung der gewählten Konnotation der Begriffe. So nimmt «Entwicklungshilfe» zwar Bezug auf das Narrativ «Humanität & Solidarität», geht dieses jedoch in einer eher negativ konnotierten Art und Weise an. Im Vergleich dazu würde zum Beispiel «Entwicklungszusammenarbeit» positivere Aspekte ins Zentrum rücken. Diese Begriffe deuten auch auf die Wichtigkeit der Migrationspoliutik für rechte Parteien hin.

Die Wortwolke zeigt die Schlagworte, welche von 1971 bis 2021 mit relativ höchster Bedeutung verwendet wurden (farbig sind die fünf meistverwendeten Schlagworte).
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